Farbe im Raum
Claus G. KohrWaldorf-Kindergarten Karlsruhe
Farbkonzept nach pädagogischen und kunsttherapeutischen Gesichtspunkten
Die Gestaltung der Fassade soll künstlerisch das pädagogische und soziale Gesamt-konzept nach außen kenntlich machen.
Mit dem Apricot wurde dem Kindergarten eine wärmende und freundliche Hülle verliehen. Dem Kind soll über die Farbgestaltung Orientierung gegeben werden, z. B. in der unterschiedlichen Farbigkeit der Fenster- und Türrahmen, bezogen auf die vier Himmelsrichtungen:
im Osten und Westen das Gelb-Rot der auf-und untergehenden Sonne, im Norden kühles Blau und im Süden lichtes Veridian-Grün.
Vom sozialen Aspekt aus möchte die Fassadenfarbe in ihrer Modifikation durch die wechselnde Vielfalt der Rahmenfarbtöne zu fantasievollem und spielerischem Tun anregen.
Die farbige Gliederung des Baues an der Nordseite ist dreistufig ausgeführt: das in zart-duftigem Apricot gehaltene Gebäude wird durch die dunklere Abstufung der Sockelfarbe mit der Erde verbunden.
Das Gesims in seiner Abstufung vermittel zum Kupferdach. Der Farbgestaltung der Innenräume gehen eine Betrachtung des Grundrisses, der Lichtverhältnisse in den einzelnen Räumen und die Einbeziehung der funktionalen Gliederung sowie soziale und pädagogische Gesichtspunkte voraus.
Die Baulichkeit ist geprägt durch einen von Westen nach Osten laufenden Mittelgang, der den von Norden kommenden Eingangsbereich mit seiner kleinen Eingangshalle kreuzt. Hierdurch entsteht der Charakter einer Gasse, in der die einzelnen Baukörper der Toilettenräume, Garderoben und Gruppenräume mit ihren wechselnden Fassaden sich herein- und angliedern bis hin zum Zweigvorraum. So haben wir es hier mit einem "Außenraum" im Innenraum zu tun, in dem sich das bunte Leben der Eintretenden zunächst auf einem kleinen Platz sammelt und später in die Gruppenräume verteilt.
Das Motiv der Gasse mit dem kleinen Platz wird farbig aufgegriffen. Die vor Ort den räumlichen Verhältnissen abgelesene farbige Gliederung der Innenräume lässt sich entsprechend der von Goethe und R. Steiner gegebenen Farbenlehre verdeutlichen.
Das Foyer und der Mittelgang sind im Farbverlauf von hellem Gelb, dies betrifft die gesamte innere Nordwand, über Verdichtungsstufen (Steigerung) des Gelben bis zum Rötlichen im Verlauf von Gruppenraum zu Gruppenraum in "Fassadenschritten" abgestuft. Nach Goethe haben wir hier die Stufen der Steigerung in der Skala der warmen Farbtöne.
Goethe beschreibt im weiteren harmonische
Verhältnisse und unterschiedliche Kontrastqualitäten. Die sich im Farbkreis gegenüberstehenden Farben (Diameter) werden von ihm harmonisch genannt; wir kennen sie als Komplementärfarben. Als Farbpaare vereinen sie alle anderen Farben in sich und repräsentieren damit die Totalität des Farbkreises. Es sind die FarbpaareGelb-Violett, Rot-Grün und Blau-Orange. Ihr Miteinander erhöht die gegenseitige Wirkung. In ihrer Mischung heben sie sich gegenseitig auf, und Grau entsteht. Auch unser Organismus entspricht dieser Gesetzmäßigkeit. Sehen wir eine Farbe, so entsteht in unserem „Organ“ (Goethe) eine physiologische Wirkung, die Hervorbringung der Gegenfarbe, womit die Totalität des Farbkreises gewahrt bleibt. Zum Beispiel schafft Gelb in unserem Organismus ein violettes Nachbild. Es wird deutlich, dass der Farbkreis in uns selbst physiologisch gegenwärtig ist und uns in die Lage versetzt Farben zu erzeugen.
Charakteristische Farbkontraste („Chorden, mit Überspringung der Mittelfarbe“) bilden die Farben Gelb-Blau, Gelb-Rot, Blau-Rot, Orange-Grün, Grün-Violett, und Orange-Violett. Das heißt, es erscheint z. B. bei dem Farbpaar Gelb-Blau nicht die im Farbkreis zwischen ihnen liegende Farbe grün. Als charakterlose Farbkontraste bezeichnet Goethe die Farbzusammenstellungen Gelb-Orange, Orange-Rot, Rot-Violett, Violett-Blau, Blau-Grün, Grün-Gelb. Sie liegen im Farbkreis unmittelbar nebeneinander.
2
Das Farbkonzept der Kindertagesstätte legt einen Schwerpunkt auf die Farben Gelb, Blau und Rot (rötlich). Diese Farben treten in Mischungen mit Weiß (Wände und Decken) und in Modifikationen mit erdigen Tönen (Bodenbeläge) auf. Die Farbe Grün, als vermittelnde Mischfarbe, erscheint im Foyer an den Türen zu den verschiedenen „Aufenthaltsräumen“ der Kinder. Im Gegensatz zu der starken Farbigkeit der Aussenfassade, die bewusst in ihren kräftigen warmen Farben einladend auf sich aufmerksam macht, sind die Farben der Innenräume zurückhaltend, in ihrer Intensität abgeschwächt. Damit wirken sie ruhiger,
verinnerlichter, „unschuldiger“ (Goethe). Beim Betreten der einzelnen Räume wird der Betrachter unterschiedlicher Farbkontraste und Harmonieverhältnisse gewahrt:
Aus dieser Aufstellung wird ersichtlich: Harmonisch zueinander stehende Farben wirken anregend, kräftigend, Mut bildend. Sie schaffen die Fähigkeit selbst in sich Harmonie zu bilden. Charakteristische Farbkontraste haben etwas Herausforderndes, sie bilden durch
ihre Unvermittelbarkeit die Bereitschaft, Konfrontation als eine Qualität wahrzunehmen und zu schätzen. Der charakterlose Farbkontrast wirkt angepasst. Er lässt zur Ruhe kommen. Mit dieser Gegenüberstellung kann man sich vielleicht etwas besser einsehen in die Farbverhältnisse dieser neuen Tagesstätte. Es konnte nur stichwortartig auf das unerschöpfliche Thema Farbe eingegangen werden, das alltägliche Leben in diesen Räumen wird die angesprochenen Inhalte in den Bereich der Erfahrungen hineintragen. Es wäre schön, nach einer geraumen Zeit sich darüber auszutauschen wie die Kinder sich in diesen Räumen fühlen, denn für sie sind sie geschaffen.
Claus Kohr **************************************************************************************************************************Anmerkungen: 1 Die Evolutionsforschung kam zu der Erkenntnis, dass für die Entwicklung der Sinnesfähigkeit immer polare Verhältnisse gegeben sein müssen; dass die Polarität Gelb-Blau, wie sie bereits Goethe beschrieben hat, nach dem Hell-Dunkelkontrast, die erste Stufe der Entwicklung zum Farbempfinden darstellt; ferner, dass dieser Kontrast die Möglichkeit zur gegenständlichen Wahrnehmung verstärkt.
Als zweiter Schritt zur Entwicklung des Farberlebens wird die Rot-Grün Polarität zum Wahrnehmen von Reifungsstufen der Früchte angenommen. Interessant dabei ist in unserem Zusammenhang die Tatsache, dass der dynamische Entwicklungsgedanke in Goethes Hauptwerk, der Farbenlehre, ‚einer ganzheitlichen Anschauung den Boden bereitet. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der Farbe für die seelisch- geistige und leibliche Entwicklung des Kindes ein wissenschaftlich relevantes Thema.
Den Hinweis auf eine auf polare Verhältnisse gestellte Weltentwicklung findet sich schon in Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, Band 3.( Farbenlehre).
In der Anmerkung des damaligen Herausgebers Rudolf Steiner heißt es: (zu § 696): „Auf den Gegensatz wollte Goethe die gesamte Physik gestützt wissen. Die Natur wirkt, nach seiner Ansicht, in Gegensätzen, die in einer höheren Einheit begriffen sind. Ein solcher Gegensatz ist z. B. in der magnetischen, in der elektrischen Wirksamkeit vorhanden.
“ Cornelius Donders verweist auf die paarweise Entwicklung der Urfarben, er leitet die polare Entwicklung aus neuronalen Gesetzmäßigkeiten ab.
Objekterkennung: Gelb-Blau, Erkennen von reifen Früchten: Rot-Grün, F. C. Donders: Über Farbensysteme: A. v. Graefes Arch. F. Ophthal. 1881-84. 2
In Anknüpfung an Goethes Geistesart siehe hierzu F. Schiller: Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, Reclam Verlag.
3 „§705.Als Pigment entsteht er (Purpur) nicht in Mischung oder Vereinigung, sondern durch Fixierung einer Körperlichkeit auf dem hohen kulminierenden Farbenpunkte. Daher der Maler Ursache hat, drei Grundfarben anzunehmen, indem er aus diesen die übrigen sämtlich zusammensetzt. (Goethe) Der Physiker hingegen nimmt nur zwei Grundfarben an, aus denen er die übrigen entwickelt und zusammensetzt.
Weiterführende Literatur:
• Johann Wolfgang Goethe, Farbenlehre, Verlag Freies Geistesleben ISBN 3-7725-0702-6
• Goethes universalästhetischer Impuls Die Vereinigung der platonischen und aristotelischen Geistesströmung Herbert Witzenmann Gideon Spicker Verlag ISBN 3-85704-155-2 4
IMPRESSUM:
Text: Claus Kohr
Fotos: Forschungszentrum Karlsruhe Farbkreis:
Layout: Bärbel Busch
Erscheinungstermin: September 2004
Claus Kohr:Kunsttherapeut BVAKT/DFKGT, Heilpraktiker, Ausbildung Hochschule Bildende Künste, Frankfurt, Ausbildungsleiter und Dozent, Freie Kulturschule, Karlsruhe